Im Monat Februar beschäftigt sich der Karneval der Rollenspielblogs mit dem spannenden Thema „Gesinnung im Rollenspiel“, organisiert von Neue Abenteuer. Nachdem ich bereits mit den Kollegen von Nandurion ein wenig über das Thema disputierte, kommt jetzt doch noch ein eigener Beitrag zum Thema. Je länger ich nämlich über eine feste Gesinnung für Charaktere im regeltechnischen Sinne nachdenke, desto weniger gefällt mir das Konzept, und die Gründe dafür reichen wohl tatsächlich für einen Blogeintrag. So here we go:
Ich habe tatsächlich noch nie ein System bespielt, das mit festen Gesinnungen arbeitet, die als regeltechnischer Teil der Charaktererschaffung fungieren. Vielleicht stelle ich mir das auch schlimmer vor, als es tatsächlich ist, aber mir ist eine Einordnung in irgendwelche festen Gesinnungskategorien irgendwie suspekt. Eine Skala, auf der ein gewisser geistiger oder moralischer Verfall dargestellt werden kann (so wie Menschlichkeit bei Vampire, geistige Gesundheit bei Cthulu oder auch der dämonische Verfall bei DSA, wobei der auch so seine Probleme hat, siehe hier unter Frage 6), gefällt mir noch ganz gut, weil man als Spieler dann einen Anhaltspunkt dafür hat, wie tiefgreifend Veränderungen eines Charakters bereits fortgeschritten sind. Eine Einordnung in eine feste Kategorie hingegen, möglichst noch mit einem festen Katalog an „erlaubten“ Verhaltensmustern, ist für mich zu viel und beschneidet zu viele Möglichkeiten, den Charakter selbst zu gestalten.
Klar, mir erschließt sich der Sinn von Gesinnungskategorien. „Abenteuer für SC ab Stufe 10, Dauer ca. 6 Stunden: Gesinnung: nicht dunkler als chaotic-neutral“ ist eine kurze, knackige Art, die richtigen SC für ein Abenteuer anzufordern. „Abenteuer für SC ab Stufe 10, Dauer: ca 6 Stunden, die SC sollten bereit sein, aus Hilfsbereitschaft oder gegen eine geringe Entlohnung tätig zu werden, dürfen dabei aber gerne auch auf leicht illegale Wege, ihr Ziel zu erreichen, zurückgreifen und sollten grundsätzlich göttergefällig sein“ ist eher ziemlicher Schwurbel und führt vermutlich dazu, dass man von den 6 Stunden erstmal eine damit verbringt, die passenden SC herauszuklamüsern. Also ja, ich kann verstehen, wieso man auf ein festes System zurückgreift.
Aber irgendwie hätte ich wenig Spaß daran, einen Charakter zu spielen, der von Anfang an einen festen Stempel aufgedrückt bekommt und dann den Rest seines Heldenlebens bei dieser Einstellung bleibt. (Leider habe ich keine Ahnung, ob sich z. B. DnD-Gesinnungen auch nachträglich ändern können, vielleicht kann mich da jemand in den Kommentaren erleuchten.) Ich meine, eins der Grundprinzipien von Abenteuern ist doch, dass den SC da ALLES passieren kann. Sie können unermesslich reich werden, ihren besten Freund verlieren, von Dämonen verführt werden, leibhaftigen Göttern begegnen, Drachen erschlagen, ihre Seele verlieren (und wiedergewinnen), die große Liebe finden, Herrscher über einen Landstrich werden, sich einem Gott weihen … das sind so tiefgreifende Veränderungen, dass ich mir schwer vorstellen kann, wie dabei die Gesinnung immer gleich bleibt. Okay, das läuft irgendwie dann wieder auf die Frage hinaus, ob Menschen sich grundlegend ändern können oder nicht.
Wenn ich einen neuen SC erstelle, denke ich in den wenigsten Fällen darüber nach, wo er/sie auf einer irgendwie gearteten Gut-Böse-Skala einzuordnen wäre. Tatsächlich liegt für mich auch ein gewisser Reiz darin, im Laufe der Zeit herauszufinden, wie die Erlebnisse den SC prägen und wo seine/ihre Grenzen liegen. Manchmal war ich schon selbst davon überrascht, welche Entscheidung sich für den Helden richtig anfühlte. Das alles würde mir fehlen, wenn der SC von Anfang an einer „so ist der drauf“-Stempel auf dem Datenbogen hätte. Außerdem liegt dann die Hoheit über die Entscheidungen für meinen SC eben nicht mehr nur bei mir als Spieler, sondern der SL könnte mir sagen „nee, das kannste nicht machen, dein Held ist dafür zu gut/zu böse“. Wie doof wäre das denn, wenn doch gerade der Bruch mit den üblichen Verhaltensweisen das Interessante ist? (Außerdem mag ich es nicht, wenn der/die SL mir in einer Situation konkret vorschreiben will, wie ich jetzt zu reagieren habe. Es sei denn, ich vergesse meine lähmende Angst vor Wasser – aber das kommt so gut wie nie vor, ich kenne meine Charaktere ja doch recht gut.)
Was mir außerdem nicht an dem System gefällt, ist, dass es auch den anderen Spielern schnell offenlegt, mit welchen Leuten ihr Held unterwegs ist. Das mag zwar dafür sorgen, dass man ohne viel Aufwand eine in sich harmonische Truppe zusammenstellen kann, nimmt aber natürlich das Spielerlebnis weg, herauszufinden, dass die nette Heilerin in Wirklichkeit doch eine skrupellose Giftmischerin oder der düstere Krieger im Grunde ein sehr aufrechter, liebenswerter Kerl ist. Generell ist die Frage, ob die anderen Helden genauso weit gehen würden wie man selbst, um ein Ziel zu erreichen, und wie sie zu bestimmten Fragen stehen, etwas für mich sehr Interessantes am Spieltisch, das zudem noch jede Menge Potenzial für Drama und spannende Szenen bietet. Das würde ich wirklich nicht durch ein „Gesinnung der Gruppe: weiß bis hellgrau, basta“ ersetzen wollen.
Natürlich birgt es Konfliktpotenzial, wenn es möglich ist, dass sich sehr unterschiedlich gesinnte Helden auf einmal auf einer gemeinsamen Queste wiederfinden, ohne dass da vorher ein Warnhinweis a la „Achtung, sehr verschiedene Gesinnungen“ auftaucht. Aber ich behaupte mal, dass auch zwei Charaktere mit dem selben Gesinnungslabel richtig in die Haare kriegen können … genauer gesagt, ich behaupte es nicht nur, ich hab es schon mehrfach erlebt. Außerdem muss ein Konflikt zwischen den SC ja auch gar nichts Schlimmes sein, sondern den Spielern Spaß machen. Oder er ruiniert den ganzen Abend – aber das hängt eigentlich immer an den Spielern und ihren Vorlieben und Erwartungen, nicht an dem Ausmaß des Unterschieds zwischen den betroffenen Charakteren.
Letztendlich kann ich zwar grundsätzlich nachvollziehen, wieso man feste Gesinnungskategorien sinnvoll und wünschenswert finden mag, für mich persönlich und meine Art von Rollenspiel finde ich sie eher kontraproduktiv.
[Der Titel des Artikels ist übrigens ein abgewandeltes Zitat aus einer Being Erica-Folge.]