Rezension: Drachenväter von Konrad Lischka und Tom Hillenbrand

Drachenvaeter.org_01_Cover-InhaltDie Geschichte des Rollenspiels ist keine Geschichte voller Missverständnisse, womit ich leider nicht diesen wunderbaren Satz als Einleitung benutzen kann. Dafür ist die Geschichte des Rollenspiels aber lang, von glücklichen Zufällen bestimmt und hat Wurzeln im alten Preußen, den Pulp-Romanen der Zwanzigerjahre und politischen Strategiespielen. Klingt interessant? Ist es auch.

Die beiden Journalisten und Autoren Konrad Lischka und Tom Hillenbrand haben mit Drachenväter ein Buch über die Geschichte des Rollenspiels geschrieben. Das Projekt wurde durch Crowdfunding finanziert und durch 428 Supporter sowie drei „Superförderer“ finanziert. Einer von ihnen war z. B. Sascha Lobo. Belohnt wurde die Unterstützung der drei Förderer durch dieses schöne Bild von Mia Steingräber. Über ihre Erfahrungen mit der Finanzierung eines Projekts durch Crowdfunding haben die beiden Autoren inzwischen auch schon in einem eigenen Artikel bei Spiegel Online berichtet. Insgesamt kann man wohl sagen, dass der Verkauf des Buches erfolgreich läuft, denn die erste Auflage des Print-Exemplars ist schon ausverkauft.

Äußerlichkeiten

Drachenväter ist als E-Book-Ausgabe für € 15,00 oder als Print für € 42,00 zu haben. Der hohe Preis für die Printausgabe erklärt sich dadurch, dass das Buch in Vollfarbe und als Hardcover gedruckt wurde. Es enthält sehr viele Illustrationen, darunter unzählige Coverbilder von Rollenspielpublikationen, aber auch Fotos von Mitgliedern der Rollenspielszene, Conventions, Spielbrettern und dergleichen mehr. Ich habe das Buch auf dem Ebook-Reader gelesen, so dass ich alles nur in Schwarzweiß sehen konnte. Das war schon manchmal schade, da es den Bildern natürlich ein wenig den Reiz nimmt. Ob man beim Kauf des Buches mit der elektronischen Version volieb nimmt oder für fast das Dreifache des Preises dann doch alles in Farbe und bunt haben möchte, muss wohl jeder selbst entscheiden.

Damals ™ – Der Weg zum Rollenspiel

Etwa ein Drittel des Buches beschäftigt sich damit, wie sich das Pen-and-Paper-Rollenspiel entwickelte und welche verschiedenen Faktoren dazu führten, dass im Jahr 1974 ein Spiel namens Dungeons and Dragons auf den Markt kam. Drachenväter führt hier drei Faktoren zusammen: Die schon im alten Preußen bekannten Kriegs- und Konfliktsimulationen und Strategiespiele, die ersten „Weltenbauer“ wie Fritz Leiber oder H. P. Lovecraft und die Fantasyliteratur, die mit Tolkien ihren Anfang nahm und im Laufe der Zeit immer beliebter wurde.

So im Großen und Ganzen hatte ich das alles schonmal gehört, aber so ausführlich wie hier wurden die Grundlagen des Rollenspiels wohl noch nicht dargestellt. Es gibt in jedem Kapitel diverse Zitate, z. B. aus Briefen von Lovecraft, aus dem ersten Conan-Roman oder aus missbilligenden Rezensionen von Fantasy-Büchern, die sehr interessant sind und ein gutes Bild davon vermitteln, wie zögerlich die Ideen von erfundenen Welten zunächst aufgenommen wurden.

Mein Lieblingsabschnitt war der über Lovecraft – tollerweise findet man eine etwas abgewandelte und vor allem auf das Necronomicon bezogene Fassung des Kapitels an dieser Stelle. Der Artikel gibt übrigens eine gute Kostprobe des Schreibstils, in dem Drachenväter verfasst ist.

Die Pioniere des PnP – Dungeons und Dragons

Nachdem nun also klar ist, wie es überhaupt zum Pen-and-Paper kam, folgt nun die Geschichte des allerersten Rollenspiels, nämlich Dungeons und Dragons. Diese wird sehr ausführlich dargestellt. Von den Inspirationen, die die verschiedenen Autoren hatten, über die Entstehung des ersten Regelwerks bis hin zur Entwicklung der verschiedenen Editionen und der Geschichte des TSR-Verlages erfährt man hier als Leser unglaublich ausführlich, wie sich Dungeons and Dragons entwickelt hat. Das ist durchaus interessant, auch wenn es mich überrascht hat, wie sehr das Buch sich hier auf ein System konzentriert.

Nach den vierzig Seiten über die Geschichte von DnD gibt es dann noch ein Kapitel über die Verteufelung des Rollenspiels in dessen Anfangszeiten, über die Faszination von Dungeons und über Würfel. Gerade der Teil über die Verteuflung des Rollenspiels ist aus heutiger Sicht sehr amüsant.

Der ganze Rest

Nachdem der Grundstein des Rollenspiels in den USA gelegt war, kamen die Rollenspiele auch nach Europa. Zum einen wurde DnD hierher exportiert, zum anderen entwickelten sich andere Systeme. Nach einem Abschnitt über die Verbreitung von DnD in Europa gibt es dann auch ein Kapitel über DSA. Hurra, dachte ich mir natürlich, denn naturgemäß freut man sich ja als DSA-Spielerin, wenn auch das eigene System, welches noch dazu das bekannteste deutsche Rollenspielsystem ist, Erwähnung findet. Leider muss ich sagen, dass DSA, welches noch dazu etwas abfällig als „Kraut-Rollenspiel“ bezeichnet wird, eher kümmerlich wegkommt und gerade einmal sechs Seiten Platz im Buch gefunden hat. Immerhin konnte ich mich über die Erwähnung der Wiki Aventurica, des Dere Globus und sogar Nanduriat Thamor freuen. Trotzdem hatte ich zu dem Thema irgendwie mehr erwartet. Themen wie Verlagwechsel, sich zerstreitende Autoren und verschiedene Regelversionen hätte DSA ja durchaus auch zu bieten gehabt. Ich kann zwar die Entscheidung nachvollziehen, nur auf die Entwicklung von DnD als erstem Pen-and-Paper-System so ausführlich einzugehen, aber dadurch, dass DSA als einziges anderes System im Buch ein eigenes Kapitel bekommen hat, wurden bei mir irgendwie falsche Erwartungen geweckt.

Das nächste Kapitel widmet sich dann weiteren Rollenspielen und stellt diese kurz vor. Neben klassischen Fantasy-Rollenspielen wie MERS oder Runequest werden auch Systeme mit anderen Settings wie Traveller oder Shadowrun sowie eher ungewöhnliche System wie Paranoia oder die World-of-Darkness-Reihe vorgestellt.

Leider bleibt diese Vorstellung immer recht kurz und oberflächlich. Das ist vielleicht verständlich, da man nicht auf jedes System so detailliert eingehen kann. Allerdings, und das ist mein größter Kritikpunkt, wird hier die Entwicklung des Rollenspiels in den letzten Jahren ziemlich ignoriert.

„Unser Buch beschreibt alle Facetten des Rollenspiels von 1974 bis heute […].“ – So hieß es in der Projektbeschreibung auf Startnext, und das ist leider nicht der Fall. Zum einen fehlt mir ein Kapitel über die Entwicklung der Charaktererstellung – wenn man Drachenväter liest, könnte man meinen, dass auch heute in modernen Rollenspielen noch der Charakter ausgewürfelt wird. Dass fast alle Rollenspiele inzwischen auf einem Kaufsystem basieren und man inzwischen sehr viel mehr Freiheiten bei der Charaktererstellung hat, wird nicht wirklich klar, obwohl es meiner Meinung nach eine sehr entscheidende Änderung ist. Auch das Konzept, dass Spieler die Welt und die Geschehnisse darin mehr mitgestalten können und sollen, z. B. über Schicksalspunkte, findet keine Erwähnung, ebensowenig wie neuere Erzählspiele wie z. B. Fiasko, die ganz ohne Spielleiter und fast ohne Regeln auskommen.

Digitale Rollenspiele

Im letzten Abschnitt von Drachenväter geht es nun um die Entstehung von Computerspielen und den Einfluss von Rollenspielmechanismen auf selbige. Die Entwicklung der ersten Rollenspiele für PC und Konsolen wird dabei als Erstes thematisiert, es folgen verschiedene Spiele, die kurz vorgestellt werden. Auch hier gibt es wieder zahlreiche Bilder, die mich, deren allerallererstes PC-Spiel Skyrim war, doch öfter über die Pixelbildchen schmunzeln ließen. Soweit ich es beurteilen kann, streift das Kapitel recht viele bekannte Spiele. Aufgefallen ist mir allerdings, dass Spiele wie Dragon Age oder Mass Effect unerwähnt bleiben, obwohl sie, soweit ich weiß, zu den beliebtesten Spielen der letzten Jahre gehören. Auf den Konflikt zwischen Open World und maßgeschneiderter Story inkl. Bindung des Spielers an NSCS – basically also auf „Bethesda vs. Bioware“ – hätte man ruhig noch eingehen können. Auch Computerspiele, die z. B. den Hintergrund eines Rollenspiels benutzen, ohne die Regelmechanik zu übernehmen (wie die beiden DSA-Point-and-Click-Adventures), finden keine Erwähnung.

Zum Schluss gibt es noch einen Abschnitt darüber, dass Computerspiele das Pen-and-Paper-Rollenspiel fast verdrängt haben und die Frage, wie diese Entwicklung wohl weitergehen wird. Hier wird herausgestellt, dass sich aktuell auch ein PC-Spiel mit extrem vielen Freiheiten noch nicht mit einem PnP-Spiel vergleichen lässt. Auf die Frage, ob PnP und Computerspiel irgendwann miteinander verschmelzen wird, findet das Buch keine Antwort.

Hier wäre meiner Meinung nach noch ein Abschnitt zur modernen Technik innerhalb des PnP angebracht gewesen. Viele Runden spielen inzwischen über Teamspeak, Skype oder Google Hangouts; oder ein fehlender Spieler wird per Webcam zugeschaltet. Es gibt Programme, um Battlemaps zu verwalten, es gibt Würfelapps, automatisch rechnende Kampftools oder Steigerungsprogramme…man kann also nicht nur die PnP-Mechanismen für Computerspiele nutzen, sondern auch die technischen Neuerungen ins klassische PnP einbinden.

The Written Word

Ich habe den Schreibstil des Buches als sehr angenehm emfpunden, da er informativ, aber nicht langweilig oder trocken ist. An einigen Stellen gibt es auch ironisch-nerdige Anspielungen, die mich öfter mal zum Schmunzeln gebracht haben. Mein Lieblingsbeispiel ist diese Illustration von Conans Charakter:

„Hätte Gandalf der Graue versucht, den Cimmerier mit einem Ring nach Mordor zu beordern, hätte ihn das mehr als nur seinen Zauselbart gekostet. Vermutlich hätte Conan den Ring in der nächsten Spelunke verhökert und den Erlös in die Schankmaid investiert.“

Wie bereits schon oben erwähnt, wird der eigentliche Text dann durch unzählige Zitate und Bilder aufgelockert, so dass ich das Buch ziemlich schnell und sehr gerne gelesen habe.

Fazit

Hat mir Drachenväter etwas Neues erzählt? Zum Teil. Die Geschichte des Rollenspiels gab es auch schon im DSA-Jubiläums-Band Magische Zeiten, allerdings viel weniger detailliert und mit weitaus weniger Quellen. Auch die Geschichte von Dungeons and Dragons war unterhaltsam, der Brückenschlag zum Computerspiel ist neu und interessant zu lesen. Gut gefallen hat mir auch, wie plastisch die frühen Rollenspielrunden oder die Persönlichkeit der Autoren geschildert werden.

Abstriche gibt es dafür, dass die Entwicklungen im Rollenspiel der letzten Jahre außen vor gelassen wurden und auch im Bereich der Computerspiele das aktuellste genannte Spiel World of Warcraft ist, welches nun auch schon 10 Jahre auf dem Buckel hat. Meinethalben hätte man gerne auch ein paar Details zu Dungeons and Dragons verzichten und dafür noch mehr Platz auf die vielfältige Entwicklung des Rollenspiels verwenden können.

Trotz allem ist Drachenväter aber eine unterhaltsame und interessante Lektüre. Wer begeisterter Rollenspieler ist oder war, sich mit der Entstehung des Hobbies befassen will oder sich einfach dafür interessiert, wie die Grundlagen für heutige PC-Spiele entstanden sind, wird sicher Gefallen an dem Buch finden.

3 Kommentare

Eingeordnet unter Bücher, Rezension, Rollenspiel

3 Antworten zu “Rezension: Drachenväter von Konrad Lischka und Tom Hillenbrand

  1. Pingback: Aus dem Limbus: Menschenopfer, Kartentaschen, Drachenväter | Nandurion

  2. colgrevance

    Hallo Curima, danke für die Rezension! Ich überlege noch, ob ich mir ‚Drachenväter‘ holen soll – mit ‚Designers & Dragons‘ von Shannon Applecline besitze ich schon ein Buch, das in eine ähnliche Richtung geht. Kennst du vielleicht beide Bände und kannst einen kurzen Vergleich anstellen?

    Grüße,
    colgrevance

Hinterlasse einen Kommentar