22. Juni 2015 · 11:24
Ich wurde gebeten zu bloggen – und wenn das schon mal vorkommt, kann ich das natürlich nicht abschlagen 😉 .
Gestern also war George R. R. Martin in Hamburg. Ja, DER George Martin, der Autor der Buchreihe „A Song of Ice and Fire“, auf dem die inzwischen wohl auch jedem Nicht-Nerd bekannte Serie „Game of Thrones“ basiert. Dass er überhaupt nach Deutschland kommt, ist schon einigermaßen sensationell, dann auch noch nach Hamburg ins CCH (Congress-Centrum Hamburg), also grad mal eine Bahnfahrt von 20 Minuten entfernt … da gab es nun wahrlich keinen Grund, nicht hinzugehen. Zumal die Karten auch nicht teuer waren (30 Euro für die teuerste Kategorie, was im Vergleich zu anderen Möglichkeiten, GRRM zu sehen, vermutlich spottbillig ist) und der Termin auch passte. Gut, ich musste am Sonntag das Haus verlassen, das ist eigentlich nie gut, aber für so ein Event macht man das dann schon mal *g*.
Um 18.30 schlugen also der Mitbewohner und ich am Bahnhof Dammtor auf, marschierten zum CCH rüber und trafen dann, während wir uns noch fragten, wie viele der Besucher wir wohl thereotisch kennen müssten, erstmal auf Mike Krzywik-Groß, mit dem wir uns noch kurz nett unterhalten haben, ehe es dann losging. Vermutlich waren auch noch 20 andere Leute da, die ich zumindest irgendwoher aus diesem großen Internet gekannt hätte, aber es ergab sich nicht, noch jemanden zu treffen.
Dann hieß es erstmal ne Weile Schlange stehen, wir zeigten die Tickets vor, erhielten dafür ein Armbändchen (was ich für eine 2-stündige Veranstaltung ohne Pause seltsam fand, es hatte aber noch einen tieferen Sinn, dazu später mehr) und konnten dann rein. Vor dem Saal gab es einen Verkaufsstand mit diversen Büchern, vor allem natürlich „Das Lied von Eis und Feuer“ im Original und auf deutsch und in verschiedenen Varianten. Außerdem ist wohl der „The World of Ice and Fire“-Band inzwischen übersetzt worden und unter dem Titel „Westeros: Die Welt von Eis und Feuer“ erhältlich. Das Buch fehlt mir ja noch und hätten sie das auf englisch da gehabt, hätt ich es vielleicht mitgenommen, aber sie hatten leider nur die Übersetzung da. Also wurde kein Geld ausgegeben. Viel spannender als der Verkaufsstand war aber der Iron Throne. Ja, sie hatten coolerweise tatsächlich einen hübschen Plastik-Iron-Throne aufgestellt, auf den man sich raufsetzen und ein Foto machen konnte. Sehr cool. Und sympathischerweise auch ohne irgendwelche zusätzlichen Kosten oder „Fotos nur vom Fotografen und gegen Geld“-Scheiß.
Kurz vor 19 Uhr hatten wir dann unsere Plätze erreicht, die auch ziemlich gut waren. Reihe 26, genau in der Mitte – das war jetzt nicht ganz dicht an der Bühne, aber halt auch nicht sonstwo. Und es gab ohnehin eine große Leindwand, auf die alles übertragen wurden, so dass man vermutlich auch von der letzten Reihe aus gut gesehen hat. Der Saal war auch so gut wie voll, es sollen irgendwas zwischen 2000 und 3000 Leuten dagewesen sein. Bevor es losging, gab es noch ein bisschen Action, als sich rausstellte, dass Sibel Kekilli auch da war und dann erstmal diverse Leute nach vorn stürmten, um ein Foto mit ihr zu machen. (Ich wäre von meinem Sitz aus ja eh nicht so schnell rausgekommen, insofern wars ganz gut, dass es nun gerade die einzige GoT-Schauspielerin war, bei der ich nicht traurig drum war, die Gelegenheit nicht zu kriegen.)
Und dann gings los!
Geführt wurde das Gespräch von Denis Scheck, der GRRM bereits einmal interviewt hatte. Der ist ja Literaturkritiker und ein Zusammentreffen von Autoren und Literaturkritikern muss nicht immer gut laufen (wenn ich da so an eine gewisse Lesung im Literaturhaus denke…), allerdings scheint er wirklich ein Fan von GRRM und generell von Fantasy und SciFi zu sein und war ausgesprochen gut vorbereitet und informiert. Ab und zu hatte er etwas Fremdschämpotenzial, z. B., als er GRRM fragte, ob er denn statt Fantasy nicht auch hätte über „erektile Dysfunktion und Mehrwerststeuer“ schreiben können, denn das seien ja die Themen der Mainstreamliteratur (Zefuq?). Und bei der Übersetzung der Antworten hat er öfter mal noch Dinge hinzugefügt oder hineininterpretiert, die so gar nicht gesagt wurden. Denn jaaaah, es musste natürlich wieder mal jede Antwort anschließend übersetzt werden. Und wieder war es meiner Ansicht nach komplett überflüssig, denn wenn bei jedem Witz von GRRM der ganze Saal lacht und bei der Übersetzung keiner mehr, dann hatten es wohl alle schon verstanden. So zumindest kam es bei mir an. Der Mitbewohner meinte nachher, sein Sitznachbar hätte zu seinem Begleiter öfter gesagt, dass er dem Gespräch nicht ganz folgen könne, insofern war es vielleicht doch nicht ganz falsch. Mich persönlich nervt es immer, dass dafür so viel Zeit verschwendet wird, in der man auch noch bestimmt 3-4 weitere Fragen hätte stellen können. Aber sei es drum. Die Übersetzung hat Herr Scheck dann bis auf die obigen Kritikpunkte super gemacht, das waren quasi druckreife Sätze, die er da aus dem Stegreif formulierte. Das war wirklich bemerkenswert.
Das Gespräch an sich war dann wirklich gut. Okay, ich fand es etwas seltsam, dass es wirklich gar keine inhaltlichen Fragen zu den Büchern gab. Dass nicht über die kommenden Bände spekuliert oder GRRM mit wilden Fantheorien bombardiert wurde, war ja super, und über die Serie redet er ja grundsätzlich nicht. Aber ich hätte tatsächlich erwartet, dass zumindest ein Teil des Gesprächs sich schon um ASoIaF oder z. B. den neuen Westeros-Band dreht. War aber gar nicht so. Andererseits – solche Fragen wurden in anderen Interviews natürlich schon 1000 Mal gestellt. Und hier gab es wirklich mal einige neue Fragen, die ich so noch nicht gehört hatte. Auch das Überleiten zu verschiedenen Themen war gut gemacht, das Gespräch wirkte sehr natürlich und es kam – bis auf die Stelle mit den angeblichen Themen der Mainstream-Literatur – auch nie zu irgendwelchen Peinlichkeiten.
Ich werde jetzt nicht das ganze Gespräch wiedergeben, einfach mal ein paar Highlights, an die ich mich noch erinnern kann:
- Schön fand ich, wie GRRM meinte, dass die Nerds und Fantasyliebhaber, SciFi-Freaks usw., die in seiner Jugend noch totale Außenseiter waren, inzwischen so sehr akzeptiert würden und längst im Mainstream angekommen wären. „And now we rule the world“, sagte er wörtlich, und bei der Allgegenwärtigkeit von Game of Thrones in den Medien und der Popkultur bin ich geneigt, ihm recht zu geben.
- Großartig war die Geschichte über GRRMs Vater, der aus dem 2. Weltkrieg mit 10.000 Dollar und einem großen Saphir zurückkehrte – keine Kriegsbeute, sondern alles beim Würfeln gewonnen. Von dem Geld hat der Vater dann so lange gelebt, bis alles ausgegeben war, erst danach suchte er sich einen Job und lernte da GRRMs Mutter kennen. Die meinte dann immer scherzhaft, sie hätte ihn ja gerne mal gekannt, als er noch viel Geld hatte. Aber immerhin – den Saphir ließ er dann für sie in den Hochzeitsring einfassen. Aaaw. 🙂
- Auf die Frage, wie das Leben sich denn verändert hat, seit er so viel Geld mit den Büchern verdient hat, antwortete er zunächst ganz trocken „Well, I have more money.“, erzählte dann aber auch, dass er an sich gar nicht so anders lebe als in den Achtzigern. Er wohnt sogar noch im selben Haus, hat allerdings noch ein zweites als Büro dazugekauft. Danach wurde er dann etwas nachdenklich und erzählte, dass er es ja eigentlich schön findet, dass er so bekannt und beliebt ist, aber obwohl fast alle Fans supernett sind, er doch manchmal sehr genervt davon ist, dass er nicht mal in Ruhe irgendwo essen gehen kann, ohne Autogramme geben zu müssen oder Selfies zu machen. (Kann ich auch sehr gut nachvollziehen.)
- Wieso er denn so fasziniert von Drachen sei, fragte Herr Scheck dann. Darauf antwortete er schlicht: „Dragons are cool!“. Und dass er als Kind immer mit Dinosaurierfiguren gespielt hätte, und die schon cool gefunden hätte, aber Drachen wären ja quasi Dinosaurier, die noch fliegen und Feuer spucken können, „which increases the coolness factor.“
- Besonders schön fand ich, wie er darüber sprach, dass Literatur bzw. Kunst allgemein durchaus die Welt verändern kann, und zwar nicht durch irgendwelche oberlehrerhaften Bevormundungen, sondern einfach dadurch, dass Dinge ganz natürlich eingebaut und thematisiert werden. Als Beispiel führte er Serien wie „Will & Grace“ an, die dazu geführt haben, dass die Akzeptanz von homosexuellen Paaren viel größer geworden ist und letztlich auch dazu führte, dass auch homosexuellen Paaren die Ehe ermöglicht wurde/wird. Außerdem sagte er, er habe in seiner Jugend immer SciFi-Literatur gelesen, in der von den Menschen nie als „die Afrikaner, die Deutschen, die Amerikaner“ gesprochen wurde, sondern immer von „Earthlings“ und dass das bei ihm den Wunsch hervorgerufen hätte, dass Differenzen zwischen den Nationen wirklich einmal beigelegt werden könnten.
- In diesem Zusammenhang sagte er auch, dass er manchmal das Gefühl hatte, in der falschen Zukunft gelandet zu sein. Er hätte sich die Zukunft gewünscht, in der es keinen Terrorismus, keine Erderwärmung und dergleichen gibt, dafür aber Kolonien auf dem Mars, Jetpacks und fliegende Autos. Er hätte sich auch in den 50-ern nie vorstellen können, dass jemals das Raumfahrtprogramm so stark eingestellt wird und man nicht mehr versucht, immer neue Entdeckungen im Weltall zu machen.
- Angesprochen auf den Ausspruch „You can keep your heaven, when I die I wanna go to Middle-Earth“, den er in der Vergangenheit getätigt hat, sagte er, dass er in der Tat zwar katholisch aufgewachsen sei, mit dem Konzept eines Gottes aber nie viel anfangen konnte, auch wenn das Leben dann manchmal leichter wäre. „The universe is a wonderful and amazing place, but I believe it is all we have.“
- Und falls ihr noch nicht wusstet, was GRRM in seiner Jugend so tat: Auf dem College konnte er im Gegensatz zu seinen Kommilitonen nicht im Sommer nach Europa fliegen, sondern musste arbeiten. Sein Sommerjob bestand darin, in einem Vergnügungspark ein Fahrgeschäft namens „Tubs of fun“ zu bedienen.
Es gab noch mehr interessante Dinge, die er gesagt hat, aber ich krieg es nicht mehr alles zusammen. Insgesamt fand ich die Fragen wirklich gut gewählt, weil sie eben nicht lauter Dinge wiederkäuten, die er schon 87 Mal gefragt worden war. Und die Antworten waren auch sehr interessant und teilweise witzig. Im Großen und Ganzen wirkte GRRM auf mich sehr sympathisch, und sehr viele Dinge, die er gesagt hat, würde ich so unterschreiben.
Dann wurde natürlich noch gelesen! War schon fast etwas seltsam, dass nach 90 Minuten komplett nicht auf ASoIaF bezogenere Fragen dann doch daraus gelesen wurde, aber ich will mich nicht beschweren. Und es gab sogar ein Kapitel aus „The Winds of Winter“, dem noch nicht fertigen 6. Band. Ob das jetzt schon jemals woanders gelesen wurde oder gar im Internet steht, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich suche nicht aktiv nach irgendwelchen Vorab-Kapiteln, weil ich lieber das Buch am Stück lesen will, wenn es denn fertig wird.
So, Achtung, ich spoiler jetzt hier mal ein wenig aus Buch 5 und nein, Buch 5 meint nicht Staffel 5 der Serie 😉 .
Es war ein Arianne-Kapitel. Lustigerweise war das für Leute, die nur die Serie kennen, vermutlich maximalst verwirrend. Arianne wer? Quentyn wer? Jon Connington wer? Aegon?? GRRM meinte auch, er entschuldige sich bei allen, die das Kapitel nicht so recht verstehen würden, denn es drehe sich um lauter Leute, die es nicht in die Serie geschafft hätten. (Inwieweit das jetzt ein Statement war, ausgerechnet dieses Kapitel zu lesen, vermag ich nicht zu erraten. Mich hat es jedenfalls gefreut.)
Das Kapitel an sich war dann gar nicht sooooo superspannend, es geht halt darum, dass Arianne Martell von ihrem Vater Doran beauftragt wird, nach Griffin’s Roost zu reisen und dort Jon Connigton und Aegon zu treffen. Sie soll rausfinden, ob Aegon wirklich existiert und gegebenenfalls dann halt den Truppen der Martells befehlen, zusammen mit Connigtons Söldnern in den Krieg zu ziehen. Wobei sie das eigentlich nur machen soll, wenn sie wenigstens einen Drachen dabei haben. Und natürlich will sie herausfinden, ob Quentyn erfolgreich war und Dany geheiratet hat (ahahaha…) und wieso man nichts von ihm hört. Ansonsten erfährt man noch ein paar Dinge darüber, wie es in Dorne nach dem missglückten Putschversuch mit Myrcella weiterging. Das Kapitel war interessant und gewohnt gut geschrieben, wirkte aber wie eins vom Anfang des Buches. Könnte gut das allererste Arianne-Kapitel aus Buch 6 sein. Also gab es logischerweise noch keine entscheidenden Wendungen und sowas.
Nach der Lesung gab es noch 5 Minuten Geplänkel und Verabschiedung, reichlich Applaus und dann war die Veranstaltung nach 2 Stunden auch schon wieder vorbei. Achja: Wie zu erwarten war, gab es keine Autogrammstunde. War auch logisch, bei 3000 Besuchern hätte der arme Mann ja bis nachts um 4 signieren müssen. Stattdessen kamen nun wieder die Armbänder ins Spiel – diese wurden per Zufallsprinzip verteilt und wer ein graues Armband hatte, hatte einen signierten Westeros-Band gewonnen. Leider war mein Armband grün. Man hätte nun noch am Stand versuchen können, ob es noch ein signiertes Exemplar zu kaufen gibt, weil es mehr signierte Exemplare als Bändchen gab, aber das wäre bestimmt arschteuer gewesen und dann ausgerechnet in einem Buch, was ich in der Form gar nicht haben wollte. Deswegen hab ich es auch gar nicht erst versucht.
Aber an die Schlange für den Iron Throne haben wir uns dann doch noch gestellt und Bilder gemacht. Musste natürlich fix gehen, da hinter uns noch 100 andere Leute drankommen wollten, deswegen ist das Bild so semi-schön und wird daher auch nicht hier veröffentlicht 😉 .
Beim Rausgehen hätten wir beinahe fast noch die Möglichkeit gehabt, für das NDR-Radio was zur Veranstaltung zu sagen, aber noch ehe ich registriert hatte, was der Mensch eigentlich wollte, hatte der Herr Mitbewohner ihn schon mit „Nein!“ abgewiesen und war vorbeigestürmt. Well.
Danach gab es am Gänsemarkt noch eine Pizza beim Ponti, wo ich mich darüber amüsierte, dass die vier Mädels am Nebentisch auch bei der Lesung waren und über Buchdinge rätselten (die im Buch aufgeklärt werden und die ich ihnen hätte erklären können, aber erstens stürmt man ja nicht unbedingt an fremder Menschen Tische und zweitens wurden sie mir dann nicht unbedingt sympathischer, als sie meinten, GRRM hätte ja mal weniger labern und dafür noch ne Stunde signieren können).
Und das wars dann. Insgesamt ne gelungene Sache, hat mich sehr gefreut, George Martin mal live erleben zu können. Klar war das jetzt in einem sehr großen Rahmen und nicht so cool wie Neil Gaiman im Literaturhaus, wo man sich nachher noch ein Autogramm holen konnte. Aber hey: Innerhalb von nicht mal einem Jahr hatte ich die Möglichkeit, zwei meiner absoluten Lieblingsautoren live zu sehen und lesen zu hören. A girl considers herself lucky.